Mrz18
Stress wissenschaftlich
Was ist Streß?
1. Was ist Streß?
Schon seit langer Zeit macht sich die Medizin Gedanken über diese
Frage. So hat bereits 1936 ein Wissenschaftler namens Selje die
Streßreaktion (Allgemeines Adaptations-Syndrom) versucht zu beschreiben
als:
"Streß ist die unspezifische Antwort des Körpers auf eine Beanspruchung"
Streßeinwirkung führt in allen höheren Lebewesen, auch dem
Fisch, zu gleichartigen Reaktionen des Körpers, die aufgeteilt werden
in eine ersten (primäre), zweite (sekundären) und dritte (tertiären)
Reaktion des Körpers. Diese Reaktionen haben den Sinn, den Körper
allgemein zu mobilisieren, damit er auf den Reiz mit Flucht, Angriff
oder einer anderen Art der Anpassung reagieren kann. Streß ist also
zunächst etwas durchaus Positives, ja überlebensnotwendig! Die
Streßreaktionen in ihren verschiedenen Phasen kennt jeder an sich
selbst: Die erste, also die Adrenalinphase z.B., wenn man auf der
Autobahn gerade so am einschlafen ist und plötzlich die Bremslichter
des Autos des Vordermannes aufleuchten, die zweite Phase, also das
Herzklopfen, wenn der erste Schreck vorbei ist, und auch die
Erschöpfungsphase, wenn wir im Dauerstreß leben und dann irgendwann
jede Grippe, die im Umlauf ist, bekommen, weil unser Körper und seine
Abwehrreserven erschöpft sind.
Die primäre Streßreaktion :
Gehirnzentren sorgen für die Ausschüttung
verschiedener Hormone, die in der Nebenniere zu einer Ausschüttung von
Adrenalin und Noradrenalin führen.
Der Anstieg dieser Hormone im Blut ist meßbar.
Die sekundäre Streßreaktion:
Sie ist geprägt von den Folgen der
Hormonausschüttung: Der Herzschlag, die Atemfrequenz und der Blutdruck
steigen an, im Blut steigt der Blutzuckerspiegel (Glucose-, Glycogen-
und Laktatspiegel) an, es kommt zur Mobilisierung von Fetten und
Aminosäuren aus Eiweiß, verschiedene Enzyme und Elektroloyte verändern
sich in ihrer Konzentration.
Diese Veränderungen dienen dem Zweck, Energie für die
erforderlichen Reaktionen bereitzustellen und eine allgemeine
Aktivierung des Organismus zu erreichen.
Die tertiäre Streßreaktion:
Nach der allgemeinen Alarmierung folgt eine Phase
der erhöhten Aktivität und Futteraufnahme, das Wachstum wird gebremst
und es können erste Abwehrschwächen des Immunsystems gemessen werden.
Wenn der Körper nun keine Erholungsphase erhält, kommt es zur
Adaptationskrankheit oder Erschöpfungskrankheit
Diese Erschöpfungsphase des Körpers ist Folge des entstandenen
Energiemangels und der Störungen im Elektrolyt- und Wasserhaushalt. Es
kommt zu Veränderungen der Darmschleimhaut, der Blutzellen, der Gewebe
(Haut- und Flossenschäden) und durch Immunsuppression zu
Infektionskrankheiten, die schließlich den Tod zur Folge haben können.
Wechselwarme Tiere (Poiklotherme) und die Konsequenzen:
Durch Untersuchungen von verschiedenen Streßparametern im Blut
(z.B. Adrenalinspiegel, Lactatspiegel, Glucosespiegel) kann bestimmt
werden, in welcher Phase der Streßreaktion sich ein Körper befindet.
Auch kann die Erholung des Körpers durch Veränderung der Parameter
innerhalb einer gewissen Zeit gezeigt werden.
Identische Versuchsanordnungen bei verschiedenen
Wassertemperaturen (von 9,8 bis 25, 4°C) und bei verschiedenen
Fischarten haben gezeigt, daß die Streßantwort der Fische auch und
maßgeblich in Abhängigkeit zur Wassertemperatur steht. Dies steht in
direktem Zusammenhang mit den physiologischen Veränderungen bei
wechselwarmen Tieren, deren Stoffwechsel ja von der Wassertemperatur
abhängt. Im kalten Wasser (4-8 °C) verläuft die Streßreaktion sehr viel
schwächer und langsamer, teilweise sogar gar nicht mehr ab. Die Fische
sind also zunächst stabiler gegenüber akuter Streßeinwirkung, der
Verbrauch der Energiereserven, wenn man den Fisch im kalten Wasser
"dauerstreßt", kann jedoch zu Überwinterungsstörungen mit Todesfolgen
führen.
Warm gehaltene Fische zeigen eine schnellere Streßantwort, die sich zunächst auch wieder schneller abbaut.
Was heißt das für die Beurteilung von Streß bei Koi?
Der Fang, die Hälterung und der Transport vom Ursprungsland nach
Europa und spätestens danach die sich anschließenden Handelswege sind
maßgeblich an der Erzeugung von Dauerstreß mit ernsten Folgen für die
Gesundheit der Fische beteiligt. Die Anpassungsfähigkeiten werden
häufig genug überfordert. Daher habe auch ich die Vorstellung, daß eine
ausreichende Quarantäne beim Händler stattfinden muß. Sie sollte nicht
unter drei Wochen andauern und in besten Wasser- und
Temperaturverhältnissen und mit einer bedarfsgerechten Fütterung zur
Aufrechterhaltung bzw. Herstellung einer guten Kondition (Wachstum muß
gar nicht sein in der Anfangsphase) stattfinden. Derart vorbereitete
Tiere könnte dann ein Einzelhändler unter bestimmten Bedingungen auch
ohne längere Quarantäne sofort weiterverkaufen. Wenn man auf Nummer
Sicher gehen will, wartet man auch im Einzelhandel nochmals wenigstens
drei Wochen ab.
Für den Privatmann heißt dies, Verzicht auf den Kauf soeben
eingetroffener Fische, am besten kauft man da, wo man den Wunschfisch
schon ein paar Monate gesund schwimmen sah!
Eine Mischung von Tierbeständen verschiedener Herkunft ist
gerade in der so wichtigen Erholungsphase nach Transportstreß besonders
gefährlich. Hinzu tritt jedesmal ein neuer Erregerstreß, die Fische
befinden sich in ihrer empflindlichsten Zeit und können auch an sonst
harmlosen Erregern erkranken. Oft genug ist das Immunsystem infolge der
Dauerstreßsituation nicht mehr in der Lage, auch noch mit neuen
Erregern zurechtzukommen, die Fische erkranken daher teilweise auch
erst 1-2 Wochen, ein Zeichen, daß die Summe aller Stressoren zur
Erschöpfungskrankheit geführt hat und eine Erholung nicht (mehr)
möglich war.
Streß kann aber auch im Becken des privaten Fischhalters entstehen. Hierüber etwas mehr in einer Fortsetzung dieses Artikels.
Autor: Dr. med. vet. Sandra Lechleiter
fischcare – Dr. med. vet. Sandra Lechleiter
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