Mikroorganismenarten kommen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht als Monokulturen vor.
2.6.1 Aufbau und Eigenschaften mikrobieller Lebensgemeinschaften
2.6.1.1 Artenvergesellschaftung
Sie sind in Flüssen und Seen, im Boden, in Kläranlagen oder in
Anlagen zur biologischen Abfallbehandlung stets mit einer Vielzahl
anderer Arten vergesellschaftet. Multi-Spezies-Lebensgemeinschaften
(Synonyme: Mischkultur, Biocoenose) bilden sich aus, wobei die
Artenverteilung durch die Summe der Umweltfaktoren bestimmt wird, die
für den jeweils betrachteten Lebensraum typisch sind. Wichtige
Umweltfaktoren sind dabei u. a. das Nährstoffangebot, das Angebot an
Elektronenakzeptoren, die Temperatur, der pH-Wert, die hydrodynamischen
Scherkräfte. Unter den Arten, die miteinander eine Lebensgemeinschaft
eingehen, können Vertreter der Gruppe der coh-Bakterien vorkommen, der
Nitrifikanten, der Protozoen und der Metazoen bis hin zu den Fischen
sowie der photo-litho-autotrophen Organismen (Algen, Wasserpflanzen
etc.). Protozoen sind einzellige coh-Organismen, die sich überwiegend
von Bakterien ernähren. Niedere Metazoen sind mehrzellige
coh-Organismen (Rotatorien, Kleinkrebse, Würmer). Sie ernähren sich
vorwiegend von Organismen, die in einer unteren Entwicklungsstufe
angesiedelt sind.
Die in einer mikrobiellen Lebensgemeinschaft miteinander
vergesellschafteten Arten sind auf vielfältige Weise voneinander
abhängig. Nahrungsketten bilden sich aus. Diese sind dadurch
gekennzeichnet, daß das Produkt des Stoffwechsels einer Art oder einer
Gruppe von Arten (z. B. coh-Bakterien) als Rohstoffe für andere Arten
(z. B. Protozoen, Nitrifikanten) dient. Die Zusammenhänge wurden von
Hartmann (1983) in einem graphischen Modell dargestellt, mit dem die
Verknüpfung von coh-Bakterien, Protozoen, niederen Metazoen und
Nitrifikanten deutlich gemacht wird. Der Begriff "niedere Metazoen"
faßt dabei ebenso wie der Begriff "Protozoen" eine vielgestaltige
Gruppe von Organismen zusammen, von denen viele wiederum in Form einer
Freßkette voneinander abhängen.
Abb. 1 Verknüpfung biocoenotischer Grundelemente zu einer Lebensgemeinschaft
aus aeroben Bakterien, Protozoen und niederen Metazoen.
In diesem Modell sind die Eingangsgrößen für die einzelnen
biocoenotischen Grundelemente jeweils unterteilt in die Bereiche
Elektronenakzeptor, Nährstoffe und Elektronendonator. Die prinzipiellen
stöchiometrischen Mechanismen wurden für die coh-Bakterien und für die
Nitrifikanten in dem Kapitel "Aufbau und Funktion der Bakterienzelle"
(Kap. 2.5.1) dargestellt. Das Schema läßt sich auch auf die
Organismengruppen "Protozoen" und "niedere Metazoen" anwenden.
Die Organismenarten, die für die Durchführung der einzelnen
Teilreaktionen der Nährstoffkette bzw. der Stoffkreisläufe
verantwortlich sind, reichern sich in einem großräumigen Lebensraum in
den Zonen an, in denen die für sie günstigsten Lebensbedingungen
angetroffen werden. Die Lebensgemeinschaft an einem bestimmten Ort
innerhalb eines Flusses, eines Sees oder eines Bodens ist in ihrer
Zusammensetzung und in ihrem Leistungsbild das Resultat der jeweils
vorherrschenden Umweltbedingungen. Durch den durch das fließende Wasser
bewirkten Transport von Nährstoffen und von Stoffwechselprodukten von
einem Lebensbereich in den benachbarten Bereich kommt es in einem
natürlichen Ökosystem zu einer fortschreitenden Veränderung der
wirksamen Umweltfaktoren und in der Folge zu einer fortschreitenden
Änderung (Sukzession) der Artenzusammensetzung der
Lebensgemeinschaften. Die Zusammenhänge wurden von Hartmann (1983)
modellhaft mit der Lageveränderung einer sog. ökologischen Kugel
beschrieben.
Abb. 2 Ökologische Kugel
Lageveränderung infolge Gewichtszunahme des Umweltfaktors 2 mit der Folge
einer Umschichtung der Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft.
Man stelle sich eine Hohlkugel vor, die teilweise mit Wasser
gefüllt ist und durch an einem Seilsystem angebrachte Gewichte
(Umweltfaktoren) in einer bestimmten Lage fixiert ist. Jeder Punkt auf
der inneren Wand der Kugel möge eine bestimmte Organismenart
repräsentieren. Die Wasserspiegelhöhe über den einzelnen Punkten
beschreibt die Populationsstärke der zugehörigen Organismenart. Die
Climax-Lage beschreibt eine Situation, in der sich die Organismen an
die vorherrschenden Umweltbedingungen (Konstellation der
Umweltfaktoren) angepaßt haben. Nach Änderung eines Umweltfaktors
kommte es zu einer Änderung der Umweltbedingungen. Die Kugel dreht sich
in eine neue Lage. Arten, die zuvor in der Lebensgemeinschaft heimisch
waren, können sich nicht mehr halten und verschwinden daher. Andere
Arten wandern ein. Die dominierende Rolle fällt einer anderen Art zu
und entsprechend ändert sich auch das Leistungsspektrum der
Lebensgemeinschaft. Die Änderung der Artenzusammensetzung (Sukzession,
ökologische Adaptation) geschieht nicht plötzlich, sondern über einen
gewissen Zeitraum.
Unterhalb der Einleitungsstelle von Nährstoffen in einen Fluß
wird sich die ökologische Kugel stromabwärts ständig und systematisch
weiterdrehen. In jedem Flußquerschnitt stellt sich eine
Lebensgemeinschaft ein, die in Beziehung zu dem jeweils vorherrschenden
Nährstoffangebot steht. Die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft
reflektiert die Belastung des Gewässers mit Nährstoffen und kann daher
als Indikator für die Gewässerbelastung verwendet werden. Das
Saprobiensystem (Liebmann, 1962) wurde vor diesem Hintergrund
entwickelt. Es dient der Klassifizierung der Gewässergüte.
Die Artenzusammensetzung und die daraus resultierende
metabolischen Leistungsfähigkeit mikrobieller Lebensgemeinschaften kann
auch technisch durch gezielte Parameterveränderung beeinflußt werden.
Der Erfolg der Bioverfahrenstechnik zur Reinigung von Abwasser,
Schlämmen, Böden und festen Abfallstoffen ist ganz wesentlich von dem
Erfolg der steuernden und regelnden Eingriffe in mikrobielle
Lebensgemeinschaften abhängig.
2.6.1.2 Mineralisierung über die Freßkette
Aufgrund der stöchiometrischen Koppelung des Stoffwechsels von
Bakterien, Protozoen und niederen Metazoen wird eine in das System
eingeschleuste Masse an organischer Substanz (z. B. organische
Abwasserinhaltsstoffe) sukzessive in unterschiedliche Arten an Biomasse
umgewandelt und dabei fortschreitend mineralisiert. Der Abbau
organischer Substanzen über die Nährstoffkette entspricht der fraktalen
Natur biologischer Stoffumwandlungsmechanismen (siehe:
Zitronensäurezyklus – Atmungskette). Durch Aufteilung des
Umwandlungsprozesses in viele kleine Schritte gewinnen biologische
Systeme die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, die benötigt wird, um
auch unter wechselnden Umweltbedingungen überlebensfähig zu sein.
Der fortschreitende Mineralisierungsprozeß über die einzelnen
Glieder einer Nahrungskette geschieht beispielsweise stromabwärts
unterhalb der Einleitungsstelle von Abwasser in einen Fluß. Der Vorgang
wird als biologischer Abbau bezeichnet. Die Fließstrecke, auf der die
Mineralisation stattfindet, heißt Selbstreinigungsstrecke. Organisches
Material einschließlich der zwischenzeitlich gebildeten Biomasse wird
nach und nach in anorganisches Material umgewandelt. Die Aktivität der
im Wasser enthaltenen Bakterien, Protozoen und niederen Metazoen nimmt
schrittweise ab. Man bezeichnet den Vorgang deshalb auch als
"Stabilisierung" und setzt ihn beispielsweise zur Behandlung von
Klärschlämmen ein oder zur Kompostierung von Biomüll.
Abb. 3 Prinzip der biologischen Selbstreinigung (fortschreitende Mineralisierung über die
Nahrungskette) am Beispiel der Parameters Kohlenstoff.
Abb. 4 Schematische Darstellung von Stoffumwandlungsvorgängen über die Freßkette
Beispiel: Aerobe Schlammstabilisation in Kläranlagen;
Bakterien (Biomasse I) werden von Protozoen (Biomasse II) gefressen.
Die mineralischen Endprodukte des biologischen
Stabilisierungsprozesses sind nun aber keineswegs inert. Sie haben
vielmehr Nährstoffcharakter für Organismen, die ihre Energie aus dem
Sonnenlicht beziehen. Man bezeichnet diese als photo-litho-autotrophe
pla – Organismen (Algen, Wasserpflanzen etc.). Die Nutzung der
mineralischen Endprodukte des Stoffwechsels der coh-Organismen und der
Nitrifikanten durch die pla-Organismen führt zu einem erneuten Anstieg
der Biomasse in einem Lebensraum. Dieser Vorgang wird als Eutrophierung
bezeichnet.
2.6.1.3 Nährstoffkreisläufe in natürlichen Biotopen
Der biologische Abbau organischen Materials über die
Nahrungskette durch coh-Organismen und Nitrifikanten und die Produktion
organischen Materials aus den so entstandenen Nährsalzen durch
pla-Organismen sind in natürlichen Lebenräumen (Flüsse, Seen, Meere)
die beiden Hauptbestandteile des Nährstoffkreislaufs. An diesen
Kreislauf angekoppelt sind zudem chemische Reaktionsmechanismen, mit
denen geologische Nährstoffquellen erschlossen werden. Stoffe werden
aus dem Kreislauf ausgeschleust und in Nährstoffsenken deponiert.
In den folgenden Prinzipskizzen sind die Nährstoffkreisläufe
für die Elemente Kohlenstoff (C), Stickstoff (N), Phosphor (P) und
Schwefel (S) dargestellt. Jedes dieser Elemente besitzt potentiell
eutrophierende Wirkungen. Allerdings wird der Stoffkreislauf in der
Regel nur durch das Element angetrieben, das für die Organismen am
wenigsten verfügbar ist. In der Regel ist es der Phosphor, der die
Rolle des Minimum-Faktors spielt.
Generell gilt, daß die Stoffkreisläufe durch Einleitung
entweder von organischen oder von anorganischen Nährstoffen angetrieben
wird. Die Mineralisierung organischer Einleitungen in ein Gewässer über
die Nahrungskette führt nur dann zu einer Dämpfung der Stoffkreisläufe,
wenn die zugeführte Materie auf Dauer in den Nährstoffsenken (z. B.
Bodensedimente) festgelegt werden könnte. Dieses ist aber aufgrund der
chemischen Gleichgewichtsreaktionen, die zu einer Remobilisierung der
deponierten Stoffe führen können, prinzipiell nicht möglich. Um daher
die Eutrophierung der Gewässer unter Kontrolle halten zu können, muß
auf eine Minimierung der Stoffeinträge in Gewässer hingewirkt werden.
Abb. 5 Schematische Darstellung des Kohlenstoffkreislaufs.
Abb. 6 Schematische Darstellung des Stickstoffkreislaufs.
Abb. 7 Schematische Darstellung des Phosphorkreislaufs.
Abb. 8 Schematische Darstellung des Schwefelkreislaufs.
Weiterführende Literatur
Liebmann, H. Handbuch der Frischwasser- und Abwasserbiologie. Oldenbourg Verlag München, 1962
Hartmann, L. Die Beziehung zwischen Beschaffenheit, Leistungsfähigkeit und Lebensgemeinschaft der
Belebtschlammflocke. Universität Karlsruhe, Habilitationsschrift, 1960
Mikroorganismenarten kommen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht als Monokulturen vor.
2.6.1 Aufbau und Eigenschaften mikrobieller Lebensgemeinschaften
2.6.1.1 Artenvergesellschaftung