Über Parasiten im Allgemeinen
Mit diesem Beitrag möchte ich dem Leser den allgemeinen Blickwinkel auf Parasiten vergrößern. Die Einzelheiten stammen aus dem Buch „Parasitus Rex“ (Untertitel: Die bizarre Welt der gefährlichsten Kreaturen der Welt). Der amerikanische Wissenschaftsjournalist Carl Zimmer hat Parasiten-Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt besucht und die Ergebnisse in seinem Buch zusammengetragen.
Ohne Berücksichtigung von Bakterien und Viren gibt es nach neueren Schätzungen etwa viermal so viele Parasiten wie bekannte Lebewesen. Vom Einzeller (Protozoon) bis zu 25 Meter langen Bandwurm ist alles vertreten.
Es gibt Parasiten, die leben in Parasiten, und in denen leben noch wieder welche. Sie suchen sich als Habitat bestimmte Tierarten, Organe oder Teile davon, eine Augenlinse oder eine Netzhaut zum Beispiel.
Bis zu 14 verschiedene Parasiten teilen sich in Segmenten den Darm einer Ente, eine Gesamtpopulation bis zu 22ooo ist möglich. Ein parasitischer Kleinkrebs frisst die Zunge eines Fisches, nimmt deren Platz ein und übernimmt deren Funktion. Der Betrachter erkennt im offenen Maul eine Zunge mit Augen. Mit solchen ungewöhnlichen Beispielen könnte man eine endlose Kette bilden.
Unter Google findet man interessante Darstellungen der Entwicklungsstadien: Parasitenname und Zyklus eingeben und im Menü Bild anklicken. Parasitologen haben oft Jahre, manchmal Jahrzehnte gebraucht, um die Lebenszyklen zu enträtseln. Man kann Parasiten nicht verfolgen wie eine Affenhorde oder ihnen wie bei einem Rudel Wölfe einen Sender um den Hals hängen. Sie leben im Verborgenen, ihr Tun und Treiben wird nur durch infizieren, töten und sezieren ihrer Wirte und Zwischenwirte erforscht. Diese, auf grausame Art gesammelten Schnappschüsse, addieren sich langsam zu einer faszinierenden Naturgeschichte.
Viele Parasiten haben raffinierte Überlebensstrategien entwickelt. Die Strategie des Trypanosoma, dem Erreger der Schlafkrankheit, wird hier grob skizziert: Heute sieht unter einem Rasterelektronenmikroskop die Oberfläche des Trypanosama aus wie ein Weizenfeld, morgen wie ein Gerstenfeld. Im Genom wird irgendwann entschieden, die Hülle wird gewechselt. Forscher, die ein Gegenmittel für die Weizenfeldgeneration entwickelt haben, fangen bei der Gerstenfeldgeneration wieder von vorne an, sie hinken der Entwicklung ständig hinterher. Eine andere, nicht minder wirkungsvolle Strategie, verfolgt Plasmonium, der Malariaerreger. Erfolgsmeldungen bei der Bekämpfung gab es in den vergangenen Jahrzehnten genügend, sie hatten nur alle keinen längeren Bestand.
Die Parasitologie ist ein über Jahrzehnte vernachlässigtes Wissenschaftsgebiet. Wenn Fossilien gefunden werden, können Paläontologen sie einer Spezie zuordnen, die vor einer, vor zehn oder vor hundert Millionen Jahren gelebt hat. Von all den Parasiten, die diese Spezies plagten, weiß man nichts. Dabei ist heute unbestritten, dass Parasiten die Evolution mitgeprägt haben. Fast alle Lebewesen haben drei gemeinsame Grundbedürfnisse:
1. sich zu nähren,
2. sich zu schützen und
3. sich zu vermehren. Parasiten sind in der Lage, diese Bedürfnisse zu manipulieren oder sogar ganz außer Kraft zu setzen.
Hierzu je ein Beispiel:
1. Die Anophelesmücke sticht einen Malariakranken und nimmt mit dem Blut den Parasiten Plasmodium auf. Bevor sie den Erreger weitergeben kann, muss der Parasit acht bis zehn Tage in ihr reifen. In dieser Zeit sticht die Anophelesmücke nicht, sie könnte ja erschlagen werden.
2. In den kalifornischen Salzsümpfen gibt es zahlreiche Fische und Wasservögel. Die Vögel haben Darmparasiten, deren Eier mit dem Kot ausgeschieden werden. Im Wasser entwickeln sie sich zu Larven, die von den Fischen als Zwischenwirt aufgenommen werde. Die Parasiten bewirken, dass die Oberseiten der Fische heller werden, damit die Vögel die Fische besser erkennen können. Außerdem drehen infizierte Fische sich häufig im Wasser, so dass die silbernen Unterseiten aufblitzen. Die infizierten Fische gebärden sich wie lebendes Vogelfutter. Das Grundbedürfnis, sich zu schützen, wird von dem Parasit aufgehoben.
3. Die Sacculina (Rankenfüßer) schwimmt als Brut im Wasser mit Augen, Beinen und Schwanz. Trifft sie auf eine Krabbe, bohrt sie sich durch deren Haut, wo sie nicht gepanzert ist. Dabei lässt sie die äußere Hülle mit Augen und Beinen zurück. Nur der Kern dringt ein und schlägt gleich Wurzeln oder Ranken bis in alle Glieder. Die Krabbe wächst nicht mehr, häutet sich nicht mehr und kann sich auch nicht mehr vermehren. Sie lebt fortan nur noch, um sich und die Sacculina zu ernähren. Elch und Wolf sind klassische Beutetier- und Raubtierikonen. Es wird vermutet, dass in ihrem Ökosystem der nur sieben Zentimeter lange Wolfsbandwurm eine beherrschende Rolle spielt, ähnlich wie die Vogelparasiten in den kalifornischen Salzsümpfen. Die Larven des Wolfsbandwurmes klettern auf Blätter, die vom Elch gefressen werden. Im Elch bilden sie Zysten in den Lungen. Der röchelnde Elch sendet Duftmoleküle aus, die die Wölfe über weite Strecken zu den kränkelnden Elchen leiten. Der endgültige Beweis steht noch aus, einig sind sich Parasitologen aber in der Annahme, dass nach weiteren Forschungsergebnissen einige ökologischen Gesetze neu geschrieben werden müssen. Europäische Krabben sind mit Schiffen nach Amerika gekommen.
Ohne Sacculina vermehren sie sich an der amerikanischen Atlantikküste und richten immensen wirtschaftlichen Schaden an, eine Muschelbank nach der anderen wird abgeräumt. Die WHO unterstützt Forschungen mit dem Ziel, die Sacculina dort freizusetzen, um die ungehemmte Vermehrung der Krabben einzudämmen. Die Laborversuche wurden abgebrochen, weil die Sacculina die heimischen Krabben tötet. Dieses Beispiel macht deutlich, wie eng Parasiten mit einer Art verbunden sind. Parasiten in einem anderen Lebensraum freisetzen, kann unübersehbare Folgen haben.
Dafür gibt es gelungene, aber auch misslungene Beispiele: Hawai wurde von einer Mottenplage befallen. Für die Motten wurde eine Schlupfwespe gesucht und gefunden. Es gibt etwa 25 000 verschiedene Schlupfwespen, die mit ihren Eiern in unterschiedlichen Insekten parasitieren und sie töten. Die Schlupfwespen haben auf Hawai gründlich aufgeräumt und die Motten praktisch ausgerottet. Damit brach aber auch das ökologische System zusammen. Ohne Motten ist der Bestand der Vögel dramatisch zurückgegangen. Sie fehlen nun den Wäldern, weil sie deren Blüten bestäubt und deren Früchte verteilt haben. Die schönen Schmetterlinge des Seidenspinners sieht man nur noch selten, auch sie wurden durch eine Aktion biologischer Schädlingsbekämpfung fast ausgerottet. Maniok (oder Kassave) ist für Afrika so wichtig wie für China der Reis.
Die etwa drei Meter hohen Stauden haben spinatartige Blätter und die Wurzeln bilden stärkehaltige Knollen. In den siebziger Jahren wurde die Maniokpflanzen von einer Schildlaus befallen, die sich epidemieartig über den Kontinent verbreitete und die Blätter verwelken ließen. Maniok wird über Stecklinge vermehrt, sie wurden immer knapper. Alle Versuche, die Schildläuse mit Pestiziden einzudämmen, schlugen fehl. Ein Entomologe (Insektenkundler) hatte die rettende Idee: Wenn es in Amerika, dem Ursprungsland der Maniok, auch diese Schildläuse gibt, dann gibt es dort auch Parasiten, die sie in Schach halten. Über ein Jahr haben Biologen gesucht, bis sie in Amerika die Schlupfwespenart gefunden hatten, die eben in diesen Schildläusen parasitiert. Sie wurde gezüchtet und auf den Maniokfeldern verteilt. In relativ kurzer Zeit wurden die Schildläuse soweit dezimiert, dass sie heute keinen wirtschaftlichen Schaden mehr anrichten. Viele Parasiten haben im Laufe der Evolution erkannt, dass sie sich selbst keinen Gefallen tun, wenn sie ihren Wirt töten. Viele richten also keinen Schaden an. Fast die Hälfte aller Menschen ist Toxoplasma positiv. Nur Schwangeren oder Immunschwachen kann Toxoplasma schaden. Ansonsten schläft es in kleinen Kapseln im Gehirn. Wenn eine Kapsel in den Verdauungstrakt eines Katzentieres (Felidae) gelangt, dann entwickelt es sich weiter. Erstaunlich ist, dass auch Krankheiten entstehen, wenn bestimmte Parasiten fehlen.
Von der Evolution her hat jedes Säugetier Darmwürmer, also auch der Mensch. In reichen Ländern mit guten Hygienestandards gibt es seit etwa 1930 die Krankheit Morbus Cron oder Collitis in Variationen. Bei diesen Krankheiten spuckt das eigene Immunsystem Gift, das Teile des Dünndarms entzündet. Noch gibt es keine Heilung, nur schwer betroffene Darmteile können operativ entfernt werden. An der amerikanischen Universität in Illinois hat man Probanden Wurmlarven zu trinken gegeben, bei sechs von sieben erfolgte eine vollständige Remission. Von einem ähnlichen Beispiel wurde Anfang des Jahres in einer Gesundheitssendung berichtet. Gegen die Darmwürmer vieler Afrikaner sollte ein Mittel entwickelt werden. Einer der Forscher hatte plötzlich keinen Heuschnupfen mehr, der ihn jahrelang gequält hatte. Er stellte fest, dass er sich selbst mit den Würmern infiziert hatte. Das entwickelte Medikament wurde regional verteilt, die Behandelten wurden wurmfrei. Aber nach sechs Monaten bekamen die ersten Heuschnupfen, den sie vorher nie gekannt haben.
Fehlende Darmwürmer verleiten offensichtlich das menschliche Immunsystem dazu, Allergien auszulösen. Aus den Proteinen von Parasiten Gegenmittel zu entwickeln, ist ein visionärer Forschungsansatz. Parasitologen haben auf und in den Kiemen eines einzigen Fisches über 100 verschiedene Parasiten festgestellt. Die meisten davon sind unter einem Mikroskop nicht zu erkennen.
In Forschungseinrichtungen bedient man sich für den Nachweis ausgeklügelter Methoden, zum Beispiel molekularbiologische Techniken. Entlang der kanadischen Küste von Neuschottland fließen zahlreiche Flüsse in den Atlantik. Einige sind völlig naturbelassen, andere fließen durch Industriestädte und werden mit Chemikalien belastet. Kanadische Ökologen haben Fische aus den Mündungsgebieten genauestens auf Parasiten untersucht. Das Ergebnis ist verblüffend: Die Fische aus den unbelasteten Flüssen haben mehr Parasiten als die aus den belasteten Flüssen. Es wird damit erklärt, dass die Fische aus den unbelasteten Flüssen ein intaktes, leistungsfähiges Immunsystem haben, das mit den Parasiten gut fertig wird. In den belasteten Flüssen dagegen kann die zarte Parasitenbrut nicht überleben. Fische mit wenigen Parasiten bekommen ein schwaches Immunsystem, die Fische gehen dann ein durch sekundäre Infektionen durch Pilze oder Bakterien. Für belastete Flüsse gilt die Regel: Erst stirbt der Parasit, dann stirbt der Fisch. Jedem Koi-Liebhaber sollte klar sein, dass man die Verhältnisse in der Natur mit intensiver Teichwirtschaft nur bedingt vergleichen kann. Sicher ist, dass zwischen einem normalen Parasitenbefall und einem intakten Immunsystem Wechselwirkungen bestehen, nur leider sind die Zusammenhänge noch nicht vollständig erforscht. Ein leistungsfähiges Immunsystem bekommen Koi nur in einem Habitat mit guten Bedingungen.
Auch wenn alle Wasserparameter gut sind, darf man ausreichende Wasserwechsel nicht vernachlässigen, denn damit wird auch immer ein Teil der im Wasser schwimmenden Parasitenbrut entfernt und die Belastung für die Koi reduziert.
Autor: erhard.vonoepen@t-online.de Juli 2007